Diskriminierungsschutz im Wandel

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Unser neues DeZIM Working Paper analysiert die Reformdebatten und Positionen zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz.

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist seit dem Jahr 2006 das zentrale Regelwerk für rechtlichen Diskriminierungsschutz in Deutschland. Allerdings kritisieren verschiedene Akteure bereits seit seinem Inkrafttreten, dass das Gesetz nur unzureichend vor Benachteiligung schützt und überarbeitungsbedürftig ist. Aktuell bietet sich die bisher größte Gelegenheit für eine grundsätzliche Reform: Die Ampel-Koalition hat sich in ihrem Koalitionsvertrag zum Ziel gesetzt, das AGG zu novellieren. 

Wer genau bringt sich in die Reformdebatte ein und mit welchen Positionen? Welche Vorschläge erhalten besonders breite Zustimmung? Das DeZIM Working Paper „Diskriminierungsschutz zwischen Kontinuität und Wandel“ untersucht diese Fragen. Es analysiert die Reformbedarfe und -vorschläge von Zivilgesellschaft, staatlichen Stellen und Wirtschaftsakteuren und zeigt Konfliktlinien und Annäherungspunkte auf. Als Datengrundlage dienen eine Dokumentenanalyse, eine schriftliche Onlinebefragung und qualitative Interviews. 

Zentrale Ergebnisse 

  • Zivilgesellschaftliche Akteure und staatliche Stellen, die zu Antidiskriminierung arbeiten, sehen die größten Defizite des AGG in den Möglichkeiten zur Rechtsdurchsetzung, den Sanktionsregelungen und dem rechtlichen Diskriminierungsschutz in den Bereichen staatlichen Handelns, Wohnraum und Gesundheit. Die Akteure wollen erreichen, dass Menschen besser vor Diskriminierung geschützt sind. 
  • Zivilgesellschaftliche und staatliche Akteure, die zu Antidiskriminierung arbeiten, formulieren seit 2006 wiederholt Empfehlungen zur Weiterentwicklung des AGG. Ein breiter Konsens besteht über die Forderungen, den Anwendungsbereich des Gesetzes auf staatliches Handeln auszuweiten, Ausnahmeregelungen einzuschränken, die Antidiskriminierungsstelle des Bundes zu stärken und die Möglichkeiten zur Rechtsdurchsetzung zu verbessern, etwa durch ein Verbandsklagerecht, längere Fristen und Vereinfachungen in der Beweislastregelung. 
  • Wirtschaftsakteure bewerten die vorhandenen Regelungen und den rechtlichen Diskriminierungsschutz in verschiedenen Lebensbereichen überwiegend als ausreichend. Allerdings zeigen sie sich teilweise offen für die Forderungen, das AGG auf staatliche Stellen auszuweiten und Beratungsstellen auszubauen. Im Kern wollen sie Betriebe vor weiterer Regulierung schützen. 
  • Bei dem aktuellen Reformprozess ist zu erwarten, dass die Positionen von zivilgesellschaftlichen Akteuren und staatlichen Stellen, die zu Antidiskriminierung arbeiten, auf der einen und von Wirtschaftsakteuren auf der anderen Seite teilweise unvereinbar sein werden. Entscheidend für den Ausgang des Reformprozesses wird sein, wie stark die Widerstände von Reformgegner*innen sein werden, wie die politischen Entscheidungsträger*innen den Interessenskonflikt aushandeln und wessen Interessen sie priorisieren. 

Autorinnen

Samera Bartsch und Sophia Aalders, unter Mitarbeit von Isabella Kaul. 

Presse 

Über das Forschungsprojekt 

Das Working Paper „Diskriminierungsschutz zwischen Kontinuität und Wandel“ stellt einen Teil der Ergebnisse des Forschungsprojekts „Welches Antidiskriminierungsrecht wollen wir? Policy Analyse zu den Debatten um den rechtlichen Diskriminierungsschutz in Deutschland“ vor. Ausgangspunkt des Projekts ist die beobachtete Diskrepanz zwischen breit artikulierten Reformbedarfen und ausbleibenden tatsächlichen Reformen des AGG. Das Projekt sucht nach Antworten darauf, wie sich die politische Stagnation im Antidiskriminierungsrecht erklären lässt. Als einen relevanten Faktor für politischen Wandel nimmt es die Akteursstrukturen im Feld unter die Lupe: Das Forschungsteam analysiert, welche Positionen, Interessen und politische Grundüberzeugungen unterschiedliche Akteure zum Antidiskriminierungsrecht vertreten, welche Netzwerke existieren und wie die verschiedenen Akteure strategisch agieren, um ihre Forderungen zu verwirklichen. Die Policy-Analyse orientiert sich an dem theoretischen Modell des Advocacy Coalition Framework. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert.