Proteste im „Sommer der Migration“

/ Publikationen

Am Beispiel zweier ostdeutscher Städte zeigt unsere Studie: Die Reaktion auf Geflüchtete hängt stark von der lokalen politischen Kultur ab.

Ostdeutschland ist nicht gleich Ostdeutschland: Das DeZIM-Institut hat Proteste in zwei ostdeutschen Städten mittlerer Größe untersucht, die rund um den „Sommer der Migration“ 2015 stattfanden. Dabei zeigt sich: Ob Menschen für oder gegen Geflüchtete auf die Straße gingen, hängt stark von der jeweiligen politischen Kultur vor Ort ab. Die Ergebnisse erscheinen in der Research Note „Lokale Konfliktdynamiken in der Migrationsgesellschaft“.

Dr. Elias Steinhilper und Dr. Moritz Sommer analysierten die Protestdynamik in Neuruppin in Brandenburg und Plauen in Sachsen. Beide Städte kämpften in den letzten Jahren mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten und Arbeitslosigkeit. In beiden Städten leben wenig Migrant*innen. Dennoch unterschied sich das Protestgeschehen grundlegend. In Neuruppin gingen die Menschen überwiegend für Geflüchtete auf die Straße. In Plauen dagegen mobilisierten insbesondere rechtspopulistische und rechtsextreme Akteure gegen die Aufnahme von Geflüchteten. Das heißt: Die Reaktion auf Geflüchtete hängt stärker von der lokalen politischen Kultur ab als von anderen Faktoren.

Im Vergleich zu den Protesten in den frühen 1990er Jahren zeigt sich: Damals gingen Menschen vorwiegend erst als Reaktion auf die Anschläge in Rostock, Mölln und Solingen auf die Straße, um gegen rassistische Stimmungsmache und Gewalt zu protestieren. Rund um den „Sommer der Migration“ 2015 setzen sich hingegen viele Menschen proaktiv für eine plurale Gesellschaft und für Geflüchtete ein. Das war ein neues Phänomen.

Zentrale Ergebnisse

  • Im Spätsommer 2015 nahm Deutschland in großer Zahl Geflüchtete auf. Parallel dazu zeigt sich eine deutliche Politisierung der organisierten Zivilgesellschaft: In den untersuchten Mittelstädten Plauen (Sachsen) und Neuruppin (Brandenburg) erreichte die Protestaktivität zu dieser Zeit einen Höhepunkt.
  • Das gleichzeitige Auftreten dezidiert promigrantischer und migrationsfeindlicher Proteste in diesem Zeitraum verweist auf eine starke Polarisierung der gesellschaftlichen Debatte zu diesem Thema.
  • Der Politisierungsschub in der Zivilgesellschaft hat die Konfliktdynamiken nicht nachhaltig verstärkt: Ab der zweiten Jahreshälfte 2016 ist sowohl die allgemeine als auch die migrationsbezogene Protestaktivität wieder deutlich zurückgegangen.
  • Im Protestgeschehen der beiden Städte zeigen sich neben Gemeinsamkeiten auch große lokale Unterschiede. Während etwa in Neuruppin promigrantische Proteste überwiegen, sind die Proteste in Plauen stärker migrationsfeindlich geprägt. Dieser Befund zeigt, dass neben globalen und bundesweiten Entwicklungen auch die lokalen sozialen und politischen Kontexte das Protestgeschehen beeinflussen.
  • Die Ergebnisse unterstreichen, dass migrationsbezogene Konfliktdynamiken in Mittelstädten – auch in Ostdeutschland – keineswegs einheitlich sind. Die Konfliktdynamiken in Deutschland sollten deshalb auf lokaler Ebene systematisch vergleichend untersucht werden.

Autor*innen 

Elias Steinhilper und Moritz Sommer