- Startseite/
- Aktuelles/
- Protestpotenzial in der Energiekrise
Protestpotenzial in der Energiekrise
/ Publikationen

Werden die Menschen in Deutschland aufgrund der Inflation und der massiv steigenden Energiepreise im Herbst und Winter 2022 massenhaft auf die Straße gehen? Drohen, wie vielfach befürchtet, ein „Wutwinter“ und eine „Querfront“ aus linken und rechten Akteur*innen?
Das DeZIM.insights Working Paper „Protestpotenzial in der Energiekrise“ zeigt, dass sich rund jede*r vierte Befragte vorstellen kann, aufgrund der hohen Energiepreise zu protestieren. Etwas über die Hälfte will deswegen nicht auf die Straße gehen, knapp jede*r Fünfte ist noch unentschlossen. Bei Personen, die die AfD wählen würden, ist das Protestpotenzial fast doppelt so hoch wie in der Gesamtbevölkerung. Darüber hinaus dokumentieren die Daten, dass diejenigen Befragten, die in der Vergangenheit gegen die Corona-Maßnahmen protestiert haben, dreimal so häufig zum Protest in der Energiekrise bereit sind als der Rest der Bevölkerung.
Die Befunde beruhen auf einer Analyse von Daten von knapp 1.700 Personen, die bei einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung des DeZIM.panels zwischen Ende September und Ende Oktober 2022 zu ihrer Protestbereitschaft befragt wurden. Die Daten geben Aufschluss darüber, wie groß das Protestpotenzial aktuell ist und wie dieses Potenzial mit soziodemographischen Merkmalen und politischen Faktoren zusammenhängt.
Zentrale Ergebnisse
- Rund jede*r vierte Mensch in Deutschland kann sich vorstellen, aufgrund der hohen Energiepreise auf die Straße zu gehen. Diese hohe Protestbereitschaft legt nahe, dass es sich bei den politischen und medialen Debatten um einen „heißen Herbst“ nicht um „heiße Luft“ handelt. Nichtsdestotrotz will etwas über die Hälfte nicht protestieren, knapp jede*r Fünfte ist noch unentschlossen.
- Fast jede*r Zweite gibt an, in finanzielle Schwierigkeiten zu kommen, wenn sich die Nebenkosten im Vergleich zum Vorjahr verdoppeln. Diese Personen sind eher bereit zu protestieren als der Rest der Bevölkerung (30 % vs. 22 %).
- Bei Personen, die die AfD wählen würden, ist das Protestpotenzial mit 42 % fast doppelt so hoch wie bei Wähler*innen anderer Parteien. Alle anderen Parteien bewegen sich im gesellschaftlichen Mittel. Bei potenziellen Wähler*innen der Grünen ist das Protestpotenzial am niedrigsten. Während diese Zahlen wenig darüber aussagen, welche Personen gemeinsam protestieren würden, stehen der vielfach verbreiteten These einer „Querfront“ aus rechten und linken Akteur*innen zumindest sehr unterschiedlich ausgeprägte Protestpotenziale in den politischen Lagern entgegen.
- 52 % der Personen, die gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie auf die Straße gegangen sind, können sich vorstellen, auch gegen die Energiepreise zu protestieren. Das Protestpotenzial liegt in dieser Gruppe deutlich über dem von Personen, die in der Vergangenheit an Demonstrationen zu anderen Themen teilgenommen haben.
- Auch das Vertrauen in die Politik hängt stark mit der Protestbereitschaft zusammen: Personen, die der Bundesregierung nicht vertrauen, haben mit 42 % ein höheres Protestpotenzial als solche, die ein hohes Vertrauen in sie haben (22 %).
- Insgesamt deutet die Verteilung der Mobilisierungspotenziale darauf hin, dass sich in Deutschland ein Protestmilieu herausbildet, das sich durch geringes Vertrauen bis grundsätzliches Misstrauen in demokratische Institutionen auszeichnet.
- Von den Personen, die ihre Bereitschaft zum Protest berichten, geht oft nur ein kleinerer Teil tatsächlich auf die Straße. Es bleibt abzuwarten, inwiefern sich das Mobilisierungspotenzial in tatsächliche Protestpraxis übersetzt. Hierzu werden die nächsten Erhebungen des DeZIM.panels erste Auskünfte geben können.
Projektteam
Elias Steinhilper, Jannes Jacobsen, Jörg Dollmann, Mujtaba Isani, Jonas Köhler, Almuth Lietz, Sabrina J. Mayer, Lisa Walter
Downloads
Informationen zum DeZIM.panel
Das DeZIM.panel ist eine multithematische Datenerhebungsinfrastruktur, die explizit die heutige postmigrantische Gesellschaft in den Blick nimmt und Themen aus Soziologie, Politikwissenschaft, Psychologie, Erziehungswissenschaften, Wirtschaft und anderen Disziplinen umfasst. Es wurde vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung initiiert, das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert wird.
Das DeZIM.panel beruht auf einer zufallsbasierten, offline rekrutierte Ausgangswelle im Jahr 2021 mit mehr als 7.000 panelbereiten Teilnehmer*innen, mit einem Oversampling von vier spezifischen Gruppen mit Migrationshintergrund: Menschen aus der Türkei, anderen mehrheitlich muslimischen Ländern, Staaten mit Gastarbeiteranwerbeabkommen sowie Aussiedlern aus der ehemaligen Sowjetunion und Rumänien. Seit 2022 erfolgt der reguläre Panelbetrieb mit vier Wellen im Jahr, die durch regelmäßige Schnellbefragungen zu aktuellen Themen ergänzt werden.