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Umfrage unter Ukrainer*innen: Große Mehrheit für EU-Beitritt
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Nach der russischen Offensive im Februar 2022 ist die Ukraine im Juni 2022 EU-Beitrittskandidatin geworden – ein Schritt, der lange kaum denkbar schien. Befürworten auch die Ukrainer*innen selbst diese Entwicklung? Wie entwickelt sich ihr Verhältnis zur Europäischen Union in Zeiten des Krieges? Das DeZIM hat eine Umfrage unter über 19.000 Ukrainer*innen ausgewertet, die zeigt: Die Mehrheit der Befragten spricht sich für einen EU-Beitritt des Landes aus und hat grundsätzlich eine positive Einstellung gegenüber der EU. Die Zahlen sind in allen untersuchten Bevölkerungsgruppen hoch und liegen deutlich über noch im November 2021 gemessenen Werten.
Das DeZIM.insights Working Paper „High levels of support for European Union accession in Ukraine during the war in 2022“ (Paper auf Ukrainisch | Paper auf Russisch) untersucht das Verhältnis der befragten Ukrainer*innen zur EU entlang von drei Dimensionen: politische Präferenz (Zustimmung oder Ablehnung eines EU-Beitritts), grundsätzliche Einstellung gegenüber und Verbundenheit mit der EU. Die Autor*innen stellen fest, dass die kommunale Identität der Befragten, ihre regionale Herkunft, ihr Alter, höchster Bildungsabschluss und Geschlecht beeinflussen, wie stark sie die EU unterstützen.
Die Daten entstammen dem Forschungsprojekt „Resettlement of Ukrainians Panel Study (ReUP)", das im Juni 2022 mittels Social Media-Werbeanzeigen über 19.000 Ukrainer*innen für die Teilnahme an einer Online-Befragung gewann. Auf Grund dieser Stichprobenziehung sind die Ergebnisse nicht bevölkerungsrepräsentativ, geben aber Aufschluss darüber, mit welchen Faktoren das Verhältnis einer Person zur EU zusammenhängt.
Zentrale Ergebnisse
- Insgesamt zeigen die befragten Ukrainer*innen ein hohes Maß an Unterstützung für einen EU-Beitritt sowie eine positive Einstellung gegenüber der EU.
- 83 % der Befragten sind für einen EU-Beitritt der Ukraine. Die Unterstützung ist am höchsten bei Befragten, die zu Hause Ukrainisch sprechen (89 %), bei Befragten im Alter von 51 Jahren oder älter (87 %) und bei Frauen (87 %). Noch im November 2021, vor der Eskalation des Krieges, fanden Studien, dass sich deutlich weniger Ukrainer*innen (58 %) für einen EU-Beitritt aussprachen.
- Etwa 72 % der Befragten haben ein „ziemlich positives“ oder „sehr positives“ Bild von der EU. Die Einstellung der Befragten gegenüber der EU ist bei den ukrainischsprachigen Personen (77 % gegenüber 67 % der Russischsprachigen) und bei den Personen im Alter von 51 Jahren oder älter (79 % gegenüber 71 % bis 73 % in den jüngeren Altersgruppen) positiver.
- Etwas weniger als 40 % der Befragten fühlen sich der EU „stark verbunden“. Die Verbundenheit im Sinne einer längerfristigen, affektiven Orientierung scheint also weniger stark ausgeprägt zu sein als die Zustimmung zum EU-Beitritt und die grundsätzlich positive Einstellung gegenüber der EU. Dies ist nicht überraschend, da die Ukraine bislang kein EU-Mitglied ist – vor diesem Hintergrund kann der Wert sogar als überraschend hoch betrachtet werden.
- Die größten Unterschiede in Bezug auf politische Präferenzen, Einstellungen und Verbundenheitsgefühl finden sich zwischen Gruppen unterschiedlicher kommunaler Identität, unterschiedlicher regionaler Herkunft und unterschiedlichen Alters. Personen, die sich stark mit der Ukraine verbunden fühlen, unterstützen einen EU-Beitritt deutlich. Befragte, die im historisch eng mit dem Westen verbundenen Westen der Ukraine leben, zeigen mehr Unterstützung für die EU und eine stärkere Verbundenheit mit ihr. Darüber hinaus unterstützen Befragte aus der in der UdSSR sozialisierte Altersgruppe (51 Jahre und älter) die EU stärker als jüngere Menschen – im Gegensatz zu früheren Studien, die in dieser Gruppe eine stärkere Bindung an Russland fanden.
- Ukrainer*innen, die vor kurzem ausgewandert sind, befürworten einen EU-Beitritt etwas, aber nicht wesentlich stärker als die der Befragten, die (noch) in der Ukraine leben.
- Befragte mit einem Hochschulabschluss fühlen sich der EU stärker verbunden als Befragte ohne Hochschulabschluss.
- Frauen sind der EU gegenüber zwar tendenziell etwas weniger positiv eingestellt und fühlen sich ihr etwas weniger verbunden, befürworten einen EU-Beitritt aber stärker als Männer.
- Es bedarf langfristiger Forschung, um festzustellen, ob das aktuell hohe Maß an Unterstützung für die EU und einen EU-Beitritt anhält oder eine kurzfristige Entwicklung in Folge des Krieges ist. In diesem Zusammenhang ist die Forschungsarbeit ukrainischer Wissenschaftler*innen besonders wichtig.
Projektteam
Lisa Walter, Sabrina J. Mayer, Jörg Dollmann, Jannes Jacobsen & Artem Meth
Informationen zum Projekt „Resettlement of Ukrainians Panel Study (ReUP)“
Das Kooperationsprojekt „Resettlement of Ukrainians Panel Study (ReUP)“ des DeZIM-Instituts, des GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften, der Oxford University und der Universität des Saarlandes testet, inwiefern sich Social Media Ads für den schnellen Aufbau eines Access Panels in Krisenregionen eignen. Das internationale Team setzt sich aus Forscher*innen unterschiedlicher Organisationen aus verschiedenen Ländern zusammen: Für Deutschland Jörg Dollmann (Universität Mannheim & DeZIM-Institut), Anna Hebel (GESIS), Sabrina Mayer (Universität Bamberg & DeZIM-Institut), Steffen Poetzschke & Bernd Weiß (beide GESIS), Ingmar Weber (Universität des Saarlands), für Großbritannien Ridhi Kashyap, Douglas Leasure & Francesco Rampazzo (alle University of Oxford).
Über ukrainischsprachige Werbeanzeigen auf Facebook und Instagram wurden Ukrainer*innen im Juni 2022 zu einer Umfrage eingeladen. Von den über 19.000 Teilnehmer*innen waren etwa zwei Drittel damit einverstanden, für Folgebefragungen kontaktiert zu werden.
Zwar müssen bei dieser Art der Stichprobenziehung mögliche Verzerrungen berücksichtigt werden und verallgemeinernde Aussagen sind auf ihrer Grundlage nicht möglich, Zusammenhänge zwischen verschiedenen Einstellungskonzepten und anderen Konstrukten können hingegen näherungsweise abgebildet werden.
Das Projekt startete im Juni 2022, die erste Wiederbefragung fand im September 2022 statt. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert.