Die Bundesregierung will das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) reformieren. Aber wie? Und warum erst jetzt? Forscher*innen des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) haben analysiert, wie sich die Debatte bisher entwickelt hat, welche Reformvorschläge es aktuell gibt und wer wie dazu steht. Einen Teil der Ergebnisse veröffentlicht das DeZIM jetzt im Working Paper „Diskriminierungsschutz zwischen Kontinuität und Wandel".
Die Ampel-Koalition hat angekündigt, den Schutz vor Diskriminierung in Deutschland zu verbessern. „Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) werden wir evaluieren, Schutzlücken schließen, den Rechtsschutz verbessern und den Anwendungsbereich ausweiten“, heißt es im Koalitionsvertrag, den SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen im November 2021 beschlossen haben. Auf diesen Schritt haben viele lange gewartet.
Als das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) im Jahr 2006 in Kraft trat, war es heiß umkämpft: Wirtschaftsverbände, die Unionsparteien und manche Jurist:innen sahen darin einen unzulässigen Eingriff in die Vertragsfreiheit von privaten Unternehmen. Sie fürchteten mehr Bürokratie und höhere Kosten für Unternehmen und warnten davor, das Gesetz könne dazu missbraucht werden, Firmen mit einer Klageflut zu überziehen, um ungerechtfertigte Entschädigungen einzufordern. Anderen ging das Gesetz schon damals nicht weit genug: Gewerkschaften, Antidiskriminierungs- und Migrant*innenverbände bemängelten, dass das Gesetz kein Verbandsklagerecht vorsah, der öffentlich-rechtliche Bereich ausgeklammert blieb und die Antidiskriminierungsstelle des Bundes ohne eigenes Klagerecht zu schwach sei, um ihre Aufgaben wirksam erfüllen zu können.
Welche Reformvorschläge liegen auf dem Tisch?
Die damals erste Koalitionsregierung aus Union und SPD unter Angela Merkel beschränkte sich bei der Verabschiedung zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz überwiegend auf das Minimum, das durch europäische Richtlinien vorgeschrieben war. Seitdem hat sich die politische Landschaft stark verändert: Neben neuen zivilgesellschaftlichen Akteuren sind auch viele neue staatliche Stellen auf den Plan getreten, die den Schutz vor Diskriminierung vorantreiben. In den vergangenen 17 Jahren gab es auch immer wieder Vorstöße, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) weiterzuentwickeln. Doch mit wenig Erfolg: Es wurde bis heute nicht substanziell überarbeitet.
Forscher*innen des DeZIM haben untersucht, welche Reformvorschläge zum AGG auf dem Tisch liegen, wie wichtige Akteure auf diesem Gebiet dazu stehen und woran eine Reform bisher gescheitert ist. Sie haben dazu zentrale Dokumente ausgewertet, eine schriftliche Online-Umfrage unter relevanten Akteur*innen durchgeführt sowie qualitative Interviews mit Expert*innen aus Politik, Zivilgesellschaft, Gewerkschaften, staatlichen Stellen und der Wirtschaft geführt. Einen Teil der Ergebnisse veröffentlicht das DeZIM jetzt in einem Working Paper.
„Menschen, die Diskriminierung erleben, brauchen mehr Möglichkeiten, um sich rechtlich dagegen zur Wehr zu setzen. Die Wege des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz reichen hierfür aktuell nicht aus: Darüber sind sich die meisten Expert*innen einig“, sagt Samera Bartsch, eine der Autorinnen des Working Papers und wissenschaftliche Mitarbeiterin am DeZIM-Institut. „Es würde Betroffene zum Beispiel spürbar entlasten, wenn Verbände an ihrer Stelle klagen könnten – insbesondere, wenn sie sich einem vermeintlich übermächtigen Gegner gegenübersehen“.
Stellungnahmen zum DeZIM Working Paper:
„Rechtlicher Schutz vor Diskriminierung ist unverzichtbarer Bestandteil einer wirksamen Antidiskriminierungspolitik,“ sagt Sven Lehmann, Parlamentarischer Staatsekretär im Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend.
„Für viele Menschen in Deutschland ist Diskriminierung immer noch bittere Realität – sei es aus rassistischen Gründen oder wegen des Geschlechts, der sexuellen Identität, der Religion oder Weltanschauung, des Alters oder wegen einer Behinderung. Das zeigen nicht zuletzt die Zahlen der Beratungsanfragen bei der Antidiskriminierungsstelle. Die Rechte von Betroffenen und die Durchsetzung ihrer Rechte müssen daher verbessert werden. Wichtig ist auch eine weitere Stärkung der ADS für einen wirksamen Schutz vor Diskriminierung bundesweit.“
Zum Working Paper des DeZIM sagt die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman: „Ein starker Schutz vor Diskriminierung muss für ein modernes und weltoffenes Land wie Deutschland eigentlich selbstverständlich sein. Im Moment ist es das leider nicht. Das AGG macht es Betroffenen viel zu schwer, gegen Diskriminierung vorzugehen – das muss in Zukunft einfacher werden. Wir brauchen Klagemöglichkeiten für Verbände und auch die Antidiskriminierungsstelle und müssen die momentan viel zu kurzen Fristen verlängern. Und es gibt zu viele ungerechte Ausnahmen im Gesetz. Niemand versteht, warum Diskriminierung im Job und bei der Wohnungssuche verboten ist, nicht aber beim Besuch von Ämtern und Behörden. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz muss in Zukunft auch für staatliche Stellen gelten – denn der Staat muss ein Vorbild sein, wenn es um den Schutz vor Diskriminierung geht.“
Die ausführlichen Ergebnisse finden Sie unter: https://www.dezim-institut.de/aktuelles/aktuelles-detail/diskriminierungsschutz-im-wandel/