Die Definition von „Ostdeutschsein“ hat erhebliche Auswirkungen auf die Anzahl der Ostdeutschen – und damit auf ihre politische, kulturelle und wirtschaftliche Teilhabe in Deutschland.
Dies zeigt eine neue Studie des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM), die am Dienstag von den Autorinnen Prof. Dr. Naika Foroutan und Prof. Dr. Sabrina Zajak im DeZIM-Institut vorgestellt wird. Staatsminister Carsten Schneider, Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland, bewertet die Ergebnisse.
Die Studie vergleicht verschiedene Kriterien wie Wohnort, Geburtsort, familiäre Sozialisation und emotionale Selbstidentifikation, um den Anteil der Ostdeutschen in der Gesamtbevölkerung zu bestimmen. Je nach gewähltem Kriterium variiert der Anteil zwischen 16,7 und 26,1 Prozent.
Studienleiterin Prof. Dr. Sabrina Zajak sagte: „Wer ist überhaupt ostdeutsch? Diese Frage ist nicht so leicht zu beantworten. Wir zeigen, wie wichtig die Diskussion über die zugrundeliegenden Kriterien ist, wenn wir Ungleichheiten und Benachteiligungen richtig quantifizieren und damit evidenzbasierte Politik ermöglichen wollen.“ DeZIM-Direktorin Prof. Dr. Naika Foroutan führte zur Bedeutung der Ergebnisse aus: „Wir schlagen vor, zur Bestimmung von Ostdeutschen weitreichende Kriterien zu definieren. Dabei sollte auch die Herkunft der Eltern in Erwägung gezogen werden, ähnlich wie es bei der Kategorie ‚Migrationshintergrund‘ der Fall ist. Wenn das politische Ziel ist, der Benachteiligung von Ostdeutschen entgegenzuwirken und jede vierte Führungsrolle in Deutschland von einem Ostdeutschen besetzt werden sollte, braucht es eine valide Definition dieser Ostdeutschen.“
Die Ergebnisse der Studie liefern wichtige Grundlagen für die Aufgabe, strukturelle Benachteiligungen von Ostdeutschen anzuerkennen und gezielte Maßnahmen zur Förderung von Chancengleichheit zu ergreifen. Staatsminister Carsten Schneider, Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland sagte: „Es wurde dreißig Jahre darauf gewartet, dass sich das Problem der Unterrepräsentation von Ostdeutschen in gesellschaftlichen Entscheidungspositionen von alleine löst. Die Zeit des Abwartens ist vorbei. Als Bundesregierung wollen wir das aktiv ändern und haben dazu zu Beginn dieses Jahres ein Konzept beschlossen. Mit dem Elitenmonitor haben wir außerdem ein Projekt zur Analyse und Ursachenforschung beauftragt. Die empirische Forschung, mit der auch das DeZIM seit vielen Jahren strukturelle Benachteiligungen von Ostdeutschen untersucht, ist eine wichtige Grundlage noch bessere Lösungen zu erarbeiten.“
Zentrale Ergebnisse der Studie:
- Der Anteil Ostdeutscher an der Gesamtbevölkerung hängt von der Kategorie ab, auf der die Definition basiert. Je nachdem, welche Kriterien zugrunde gelegt werden – der Wohnort, der Geburtsort, die familiäre Sozialisation oder die emotionale Selbstidentifikation – schwankt ihr Anteil zwischen 16,7 und 26,1 Prozent.
- Kategorienbildungen und ihre statistischen Auswirkungen beeinflussen das Ausmaß, in dem eine Gruppe in politischen, kulturellen oder ökonomischen Positionen unterrepräsentiert ist bzw. Teilhabequoten beanspruchen kann.
- Auch wenn Kategorisierungen konstruiert sind, ist ihre Berücksichtigung dennoch gesellschaftspolitisch relevant. Statistische Kriterien und eine differenzierte Bestimmung von Bevölkerungszahlen sind wichtig für die Quantifizierung von Ungleichheiten und Benachteiligungen. Diese sichtbar zu machen, bildet die Voraussetzung für Fördermaßnahmen, Gesetze oder Quotenregelungen und damit für eine evidenzbasierte Politik.
- Der Beitrag zeigt, dass statistische Gruppendefinitionen immer bestimmte Personen und Positionen ausschließen und ihnen immer eine Unschärfe inhärent bleibt. Die Forschung zu Ostdeutschland könnte von den postmigrantischen Perspektiven lernen, sich den Ambivalenzen, Widersprüchen und Herausforderungen bei der Entwicklung von Kategorien zu stellen und dabei Vereinheitlichungsdiskurse kritisch zu hinterfragen.
Link zur Studie: https://www.dezim-institut.de/aktuelles/rn-15-wer-ist-hier-eigentlich-ostdeutsch-und-wenn-ja-wie-viele/