Flüchtlingslager an Europas Grenzen
Was können wir aus ihrer Entwicklung (ver)lernen?
Abteilung Migration
Projektleitung: Dr. Ramona Rischke , Dr. Zeynep Yanaşmayan
Im Jahr 2019 lebten weltweit schätzungsweise 62 Millionen Menschen in Flüchtlingslagern (UNHCR 2019). Flüchtlingslager sind Orte, die von humanitären Missionen (meist der UN) geplant und in der Regel von den Streitkräften des jeweiligen Aufnahmelandes beschützt werden. Die Funktion solcher Lager ist es, Geflüchteten während einer akuten Krise Schutz und neben einer Behausung auch Nahrung, medizinische Versorgung und andere grundlegende Dienstleistungen anzubieten. Flüchtlingslager sind als temporäre Bauten definiert, werden aber de facto oft zu dauerhaften Lebensorten. Mit der steigenden durchschnittlichen Dauer humanitärer Krisen werden Flüchtlings- und andere Aufnahmelager seltener aufgelöst – teils verbleiben die Bewohner*innen jahrzehntelang, etwa in den Lagern von Dadaab (Kenia) oder Shatila (Libanon). Innerhalb Europas entwickelte sich das Flüchtlingslager „Moria” in Griechenland in kurzer Zeit zum größten Aufnahmelager und sogenannten Migrationshotspot der EU. In dem 2015 eröffneten und für 2.800 Personen konzipierten Lager lebten zeitweilig 20.000 Menschen. In dem Lager herrschten wegen der Überfüllung jahrelang katastrophale Verhältnisse (IOM 2020; Schülke-Gill 2020). Seit dem Brand von Moria im September 2020 stellt sich zunehmend die Frage, welche Lehren sich aus dieser einschneidenden Erfahrung für Aufnahmelager in Europa und die Lebensrealität von Schutzsuchenden und Migrant*innen in diesen Lagern ziehen lassen. Ende 2020 begann sich die Situation für Migrant*innen und Geflüchtete aus Nord- und Westafrika auch auf den Kanarischen Inseln zuzuspitzen und innerhalb weniger Monate ist die Zahl Angekommener von 2.680 auf 23.000 gestiegen (Euronews 2021). Medial sowie von den kanarischen und anderen europäischen Zivilgesellschaften wurde mit Verweis auf die Bedingungen in den Aufnahmelagern oft ein Vergleich zu Moria oder Lampedusa gezogen.
Das Projekt untersucht anhand einer explorativen Fallstudie auf den Kanarischen Inseln die Situation der Aufnahmelager in Europa, um herauszuarbeiten, welche Rolle die räumliche Situation in den Aufnahmelagern für die Lebensrealität von Migrant*innen und Geflüchteten und ihre Migrationsprozesse spielt. Die Untersuchung fußt dabei auf zwei Säulen, die sich gegenseitig bedingen und beeinflussen: die räumlichen und die Governance-Aspekte von Aufnahmelagern an Europas Außengrenzen.
Die erste Säule befasst sich mit den räumlichen Situationen und Beziehungen in Aufnahmelagern. Durch qualitative Feldforschung sollen die räumlichen Bedingungen in, um und außerhalb der Aufnahmelager beleuchtet werden. Das Projekt untersucht anhand verschiedener methodischer Zugänge, inwieweit räumliche Dimensionen von Aufnahmelagern die allgemeinen Lebensbedingungen von Migrant*innen beeinflussen. Diese räumlichen Aspekte können nicht nur die Lebensrealität, sondern auch weitere Mobilitätsbestrebungen beeinflussen, was ebenfalls ergründet werden soll.
Die zweite Säule rückt die Umsetzung der mehrstufige Migrations-Governance im konkreten Fall der Kanarischen Inseln in den Vordergrund. In Expert*innen-Interviews soll die Vielzahl von Akteuren erfasst werden, die an der Aufnahmelagerorganisation beteiligt sind, um Wechselwirkungen zwischen der Migrationspolitik, der Planung und der Entscheidungsfindung in den Aufnahmelagern zu verstehen und kontrastieren.
Förderung: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Institutionelle Förderung)
Kooperationspartner:
Lokaler Forschungspartner auf der Kanarischen Insel Teneriffa: Observatorio de la Inmigración de Tenerife (OBITen)