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Postmigrantisches Gestaltungspotential in transformativen Lebensereignissen

Abteilung Konsens und Konflikt

Projektleitung: Dr. Ruta Yemane

Laufzeit Januar 2023 bis Dezember 2023
Status Laufendes Projekt

Im Forschungsprojekt sollen „critical junctures“ als ein zentrales Movens des postmigrantischen Wandels untersucht werden. Bei dem Begriff critical junctures handelt es sich um ein Konzept aus dem Historischen Institutionalismus, in dessen Rahmen beschrieben wird, wie „das alte, stabile institutionelle und machtpolitische Equilibrium durchbrochen wird und sich Möglichkeiten für tiefgreifende Reformen eröffnen“ (Merkel 2010:2). Dieser Begriff lässt sich aber auch auf die individuelle Ebene übertragen. Hierbei können critical junctures als Wende- oder Knotenpunkte verstanden werden, an denen Individuen oder Akteur*innen ein persönliches oder gesellschaftliches Momentum nutzen, um Veränderungen oder Reformen zu initiieren, die sowohl auf das eigene Leben als auch auf gesellschaftliche Strukturen Einfluss nehmen. Diese Veränderungen haben das Potential, historisch gewachsene Pfadabhängigkeiten zu durchbrechen, in dem sie ein Umdenken in den Köpfen der Menschen auslösen. Dabei werden bestehende Normen, Gewohnheiten und Regeln in Frage gestellt und neue, alternative Handlungsmuster, Positionen und Identitäts- bzw. Zugehörigkeitskonstruktionen entwickelt, welche im Folgenden als „postmigrantische Agency“ bezeichnet werden.

 

In diesem Projekt soll im Rahmen eines ersten Arbeitspaketes erforscht werden, welche externen gesellschaftlichen oder persönlichen Lebensereignisse migrantisierte Personen in Deutschland als zentrale kritische Wende- oder Knotenpunkte in ihrem Leben verstehen. Im Zentrum stehen Menschen mit Herkunft aus osteuropäischen Ländern, Menschen mit Herkunft aus mehrheitlich muslimischen Ländern und Schwarze Menschen. Ziel ist es, Erkenntnisse über die subjektive Wahrnehmung und Bedeutung von kritischen Wende- oder Knotenpunkten im Lebenslauf von migrantisierten Personen in Deutschland zu gewinnen, sowie deren Rolle für die Entwicklung postmigrantischer Agency zu untersuchen. Durch die Auswahl der drei Gruppen soll auch untersucht werden, ob Individuen je nachdem ob sie einer sichtbaren oder unsichtbaren Gruppe angehören (visible versus non-visible minorities), unterschiedliche Ereignisse als kritische Wende- oder Knotenpunkte benennen und auch andere Formen von postmigrantischer Agency entwickeln. In einem zweiten Arbeitspaket soll ein besonderer Fokus auf den intergenerationalen Konflikten und Handlungsstrategien dieser drei Gruppen liegen. Critical junctures können mit Blick auf verschiedene Generationen auch als Momente der Weichenstellung verstanden werden, bei denen alte Pfadabhängigkeiten und Verhaltensmuster der Eltern- oder Großelterngeneration (z.B. Assimilation oder Passing) in Frage gestellt oder durchbrochen werden und neue Wege eingeschlagen werden (z.B. Black Joy, Widerstand, Sichtbarmachung durch Abkehr von eingedeutschten Namen oder Tragen des Afros). In einem dritten Arbeitspaket sollen die Erkenntnisse aus den beiden vorangegangen Arbeitspaketen genutzt werden, um Items und Skalen für eine in einem Anschlussprojekt geplante quantitative Erhebung zu entwickeln.

 

Wohingegen es ein breites Forschungsfeld zu Lebens- und Integrationsverläufen im Allgemeinen gibt, mangelt es an einer vergleichenden Forschung zur postmigrantischen Agency migrantischer Gruppen und ihrem gestalterischen Handlungspotential, die über die reine Reaktion auf diskriminierende Strukturen, Hierarchien und institutionalisierte Ungleichheiten hinausgeht. Dieses Forschungsprojekt soll daher dazu beitragen, den oftmals defizitorientierten Blickwinkel auf Integrationsprozesse durch eine Perspektive auf die individuellen Handlungsmöglichkeiten seitens unterschiedlicher migrantischer Gruppen aus einer intergenerationalen Perspektive zu erweitern.

Förderung: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Institutionelle Förderung)