Wollen Israelis noch Deutsche werden?

Die Aushandlung abstammungsbedingter deutscher Staatsbürgerschaft vor dem Hintergrund historischer und aktueller Politik in Deutschland und Israel

Abteilung Migration

Projektleitung: Dr. Ramona RischkeDr. Zeynep Yanaşmayan

Projektmitarbeitende: Dr. Lukas M. Fuchs

Laufzeit Januar 2025 bis Dezember 2025
Status Laufendes Projekt

Das Forschungsprojekt verbindet zwei zentrale Schwerpunkte: (1) die mögliche Inanspruchnahme der Wiedergutmachungseinbürgerung oder des abstammungsbedingten Anspruchs auf deutsche Staatsbürgerschaft israelischer Staatsbürger*innen und (2) deren Auseinandersetzung mit der eigenen jüdischen Identität sowie dem kulturellen Erbe der eigenen, aus Deutschland vertriebenen oder während der Shoah ermordeten, Vorfahren.

Das europäische Judentum machte 2021 global gesehen nur etwa 8,7% der jüdischen Bevölkerung aus (DellaPergola 2022: 19), Tendenz abnehmend. Die meisten Jüd*innen leben heutzutage in Israel – 45,3% – oder in den USA – 39,6% (DellaPergola 2022: 302). Die jüdische Bevölkerung in Deutschland wurde 2021 jedoch auf um die 225.000 geschätzt (DellaPergola 2022), bei 215.000 jüdischen Zuwander*innen und Familienangehörigen nach Deutschland seit 1990 (BMI 2024).

Das Projekt setzt sich anhand der israelisch-deutsch-jüdischen Wiedergutmachungs-einbürgerung explorativ mit der Wahrnehmung von Selbst, Gemeinschaft und Zugehörigkeit auseinander. Wir wollen auf einem Verständnis von Jüdischem Leben in Deutschland als migrantisches Leben aufbauen und werden neben eigenen qualitativen Erhebungen eine Vielzahl von Sekundärquellen berücksichtigen, die sich mit dem deutschen Judentum als migrantisch und dynamisch beschäftigen (siehe zum Beispiel Almog, 2015; 2015; Jebrak & Reichling 2010; Mandel, 2010; 2008; Panagiotidis 2021; Plamper 2019; Remennick, 2007).

Staatsbürgerschaftserwerb auf Grundlage ethnischer Zugehörigkeit ist relativ weit verbreitet (Sredanovic & Stadlmair 2018). Daneben gilt die sogenannte „Wiedergutmachungs-einbürgerung” für NS-Verfolgte und ihre Nachfahren noch als relativ neu eingeführt. Doch hat sie bereits Interesse hervorgerufen. In den Jahren 2022, 2023 sowie den ersten Monaten des Jahres 2024 ist ein stetiger Anstieg an Anträgen von Juden*Jüdinnen auf die Wiedergutmachungseinbürgerungen in Deutschland zu beobachten.

Die möglichen Gründe für die Beantragung der Abstammungsbürgerschaft sind vielfältig und höchstwahrscheinlich durch einerseits komplexe politische Vorgänge, wie den Konflikten und Krisen in Israel und dem Nahen Osten, und andererseits affektive Gründe, darunter das deutsch-jüdische in die eigene Familiengeschichte, geprägt.

Vor diesem Hintergrund erkundet diese Studie die Erfahrungen und Auseinandersetzungsprozesse jener Israelis mit deutsch-jüdischen Wurzeln, die sich zu einer Beantragung der deutschen Staatsbürgerschaft entschlossen haben oder sich damit intensiv beschäftigen. Konkret geht es um die sogenannte Wiedergutmachungseinbürgerung nach Artikel 116 Abs. 2 Grundgesetz (GG) oder § 15 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG), also dem Anspruch auf deutsche Staatsbürgerschaft aufgrund des unrechtmäßigen Staatsbürgerschaftsentzugs oder der Verfolgung der eigenen deutsch-jüdischen Vorfahren.

Dabei gehen wir davon aus, dass Juden*Jüdinnen bei einer Migrationsentscheidung nach Deutschland, wie andere Gruppen auch, aufgrund der nationalsozialistischen Geschichte aber besonders komplexe und hybride Identifikationsprozesse durchleben, die bspw. die eigene ethnische Zugehörigkeit oder das kulturelle Erbe der Vorfahren, sei es Sprachpraxis oder Religiosität berühren. Darüber hinaus wollen wir ergründen, wie die Auseinandersetzung mit der abstammungsbedingten Staatsbürgerschaft und einem möglichen daran anschließenden Umzug, die Verortung der Antragstellenden zwischen Herkunfts- und Zielland beeinflusst.

Förderung: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Institutionelle Förderung)