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Wie wählen Menschen mit Migrationshintergrund?
DeZIM-Studie liefert Ergebnisse zu Parteineigungen, Alltagssorgen und der Wahrnehmung politischer Probleme
Mit Blick auf die bevorstehende Bundestagswahl rückt eine Bevölkerungsgruppe zunehmend in den Fokus: Wähler*innen mit Migrationshintergrund.
Die DeZIM-Kurzstudie „Vernachlässigtes Wähler*innenpotenzial? Über politische Problemwahrnehmungen, Alltagssorgen und Parteipräferenzen von Menschen mit Migrationshintergrund“ gibt Aufschluss darüber, wie diese Bevölkerungsgruppe politische Probleme wahrnimmt, welche Alltagssorgen sie umtreiben, zu welchen Parteien sie tendieren und welchen Parteien sie zutrauen, Probleme zu lösen.
Im Rahmen der Untersuchung wurden zwischen Dezember 2023 und März 2024 insgesamt 2.689 Wahlberechtigte mit und ohne Migrationshintergrund aus dem DeZIM.panel befragt. Gefragt wurde unter anderem, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Befragten eine im Bundestag vertretene Partei wählen würden („propensity to vote“). Konkret: „Mit welcher Wahrscheinlichkeit würden Sie Partei X wählen?“ Die Antwortmöglichkeiten lagen auf einer Skala von 1 („Ich würde diese Partei mit Sicherheit nicht wählen.") bis 7 („Ich würde diese Partei mit Sicherheit wählen.“). Im Ergebnis zeigt sich – anders als bei der Sonntagsfrage – ein differenzierteres Bild möglichen Wahlverhaltens, das auch Schwankungen bei der Wahlentscheidung berücksichtigt.
Zur Pressemitteilung: „Wählen mit Migrationshintergrund: Zu welchen Parteien neigen die Menschen, was beschäftigt sie?“
Menschen mit Migrationshintergrund sind keine homogene Gruppe. Ihre Wahlpräferenzen verteilen sich über die gesamte Bandbreite des Parteienspektrums. Berichte, dass migrantische Stimmen den Erfolg einzelner Parteien bestimmen könnten, werden durch die Ergebnisse unserer Studie nicht bestätigt.Dr. Jannes Jacobsen, Co-Autor der Kurzstudie
Download der Studie
Grundsätzlich hat jede Partei bei Menschen mit Migrationshintergrund ein Wähler*innenpotenzial – dieses ist jedoch unterschiedlich stark ausgeprägt.
Menschen mit Migrationshintergrund sind keine homogene Gruppe. Entsprechend den Anteilen in der Wahlbevölkerung unterscheidet die Studie für einige Fragestellungen zwischen den drei relevantesten Herkunftsregionen:
- EU (42,3 %)
- MENA*-/Türkei-Region (25,3 %)
- ehemalige Sowjetunion (12,4 %)
* MENA: Middle East and Nothern Africa
Die SPD hat insgesamt das größte Wähler*innenpotenzial bei Menschen mit und ohne Migrationshintergrund (74,4 %).
Am größten ist die Neigung seitens Wähler*innen mit EU-Bezug (78,6 %), dann folgen Wähler*innen ohne Migrationshintergrund (74 %), Wähler*innen mit MENA-/Türkei-Bezug (72,3 %) und schließlich solche mit Herkunft in der ehemaligen Sowjetunion (65 %).
Bei der Gesamtheit der Befragten belegt die CDU/CSU den zweiten Platz: 70,4 % können sich vorstellen, für diese Partei zu stimmen. Menschen mit Herkunft aus der ehemaligen Sowjetunion wählen am wahrscheinlichsten CDU/CSU (68,7 %).
Beim Thema Wirtschaft/Inflation sind sich Befragte ohne und mit Migrationshintergrund relativ einig, dass die CDU/CSU am kompetentesten ist: 26,2 % bzw. 28 % sind dieser Meinung.
Die größte Differenz zeigt sich bei den Grünen: 65,1 % der Befragten ohne Migrationshintergrund und derer mit EU-Bezug würden sie wählen, aber nur 41,5 % der Menschen mit Herkunft in der ehemaligen Sowjetunion – ein Unterschied von 23,6 %.
Auch beim Bündnis Sahra Wagenknecht gibt es einen auffälligen Unterschied in der Wahlneigung: 55,5 % der Menschen mit MENA-/Türkei-Bezug können sich vorstellen, für diese Partei abzustimmen, während das auf nur 34,6 % der Wahlberechtigten ohne MH zutrifft – ein Unterschied von 20,9 %.
Die AfD wird insgesamt als am wenigsten wählbar erachtet (21,6 %). Bei allen drei Gruppen mit Migrationshintergrund ist die AfD die Partei mit den niedrigsten Werten, jedoch variieren sie je nach Herkunftsregion.
- Geringere Neigung zur AfD: Befragte mit Bezügen zu EU-Ländern (17,6 %) und dem arabischen Raum/Türkei (19,7 Prozent).
- Größere Neigung: Personen mit Bezügen zur ehemaligen Sowjetunion (29,2 %).
Hinsichtlich Migration bewerten Befragte mit Migrationshintergrund CDU/CSU (25,9 %) und AfD (24,7 %) als am kompetentesten.
Menschen mit Migrationshintergrund glauben seltener, dass die politischen Parteien die wichtigsten politischen Probleme lösen können.
Vor allem bei Migration (24,7 %) und Wirtschaft/Inflation (31,2 %) schreiben Menschen mit Migrationshintergrund deutlich häufiger als Menschen ohne Migrationshintergrund (11,4 % und 23,9 %) den Bundesparteien keine Lösungskompetenz zu. Das deutet auf eine generelle Skepsis gegenüber politischen Akteur*innen hin.
Die Wahlbevölkerung mit Migrationshintergrund wird in Zukunft wachsen. Es muss noch viel getan werden, um diese Gruppen besser am politischen Willensbildungsprozess teilhaben zu lassen. Das Thema ist mit Erlangen der Staatsbürgerschaft nicht erledigt. So sollten etwa sozialpolitische Themen gestärkt und Menschen mit Migrationshintergrund gezielt angesprochen werden. Mögliche Anknüpfungspunkte sind aus unserer Sicht durch Migration bedingte Brüche in der Erwerbsbiografie, Diskriminierungserfahrungen auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt oder nachhaltige, diskriminierungskritische Kriminalitätsprävention.Dr. Friederike Römer, Co-Autorin der Kurzstudie
Politische Sorgen
Wirtschaft, Migration, Vertrauen in die Politik, Klimawandel, Rechtsextremismus. Das sind die drängendsten politischen Probleme von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund in Deutschland.
Gefragt nach dem drängendsten politischen Problem gab es viele Überschneidungen in der Wahrnehmung von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Themen wie Wirtschaft/Inflation, Migration und sozialer Zusammenhalt/Vertrauen in die Politik sind beiden Gruppen wichtig.
Wirtschaft / Inflation wird als größtes politisches Problem angesehen:
- Ehemalige Sowjetunion: 35,9 %
- MENA-/Türkei-Bezug: 28,2 %
- EU-Bezug: 30,9 %
- Ohne Migrationshintergrund: 29,3 %
Für Wähler*innen mit EU-Bezug und ohne Migrationshintergrund sind außerdem Migration (16,6 % bzw. 18,9 %), sozialer Zusammenhalt/Vertrauen in Politik (16,1 % bzw. 16,6 %) und Klimawandel (12,4 % bzw. 14,7 % ) zentrale Probleme.
Für Menschen mit MENA-/Türkei-Bezug kommt Migration als politisches Problem an vierter Stelle (13,2 %), wohingegen sozialer Zusammenhalt/Vertrauen in Politik mit 23 % der Nennungen auf Platz 2 rangiert. Auf Platz 3 steht bei ihnen Rechtsextremismus (14,4 %).
Alltagssorgen
Wahlberechtigte mit Migrationshintergrund sorgen sich mehr um ihre wirtschaftliche Situation, Altersvorsorge, Wohnsituation und Kriminalität als Menschen ohne Migrationshintergrund.
Große Unterschiede gibt es mit Blick auf die individuelle wirtschaftliche Situation: 63,4 % der Befragten mit Migrationshintergrund machen sich „einige“ oder „große“ Sorgen, während dies nur 46,7 % der Befragten ohne Migrationshintergrund tun.
33 % der Befragten mit Migrationshintergrund geben an, große Sorgen in Bezug auf ihre Altersvorsorge zu haben. Bei Befragten ohne Migrationshintergrund liegt der Anteil bei 23,4 %.
Für Migrant*innen der ersten Generation (selbst Zugewanderte) kann das zum Teil durch migrationsbedingte Brüche in Erwerbsbiografien, fehlende Anerkennung von Berufsabschlüssen, berufliche Selbstständigkeit und Diskriminierung erklärt werden (Giesecke et al. 2017).
Sorgen um die eigene Wohnsituation sind ebenfalls ungleich verteilt. Über ein Viertel (26,7 %) der Befragten mit Migrationshintergrund gibt an, dass mit der Wohnsituation große Sorgen verbunden sind, ein Drittel hat zumindest einige Sorgen. Der Anteil bei Befragten ohne Migrationshintergrund mit großen Sorgen liegt bei 17,4 %.
Mehr als 15 % der Befragten mit Migrationshintergrund geben an, dass sie große Sorge haben, Opfer einer Straftet zu werden – im Vergleich zu etwa 10 % der Befragten ohne Migrationshintergrund. Vor allem vor dem Hintergrund eines öffentlichen Diskurses, in dem Menschen mit Migrationshintergrund oftmals als Treiber von Kriminalität dargestellt werden (Walburg 2020), ist dieser Befund bemerkenswert.
Download der Studie
