Ankommen in Deutschland: Auswirkungen staatlichen Handelns auf die Integrationsverläufe Neuzugewanderter
Abteilung Integration
Projektleitung: Dr. Nora Ratzmann
Projektmitarbeitende: Minou Bouchehri , Prof. Dr. Magdalena Nowicka , Alexandra Orlova , Dr. David Schiefer , Denis Zekovic
Deutschland steht vor multiplen Herausforderungen, wie der Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts im Lichte einer erstarkenden Rechten und eines polarisierenden Diskurses zu Zuwanderung, eines erhöhten Zuwanderungsgeschehens durch Flucht und Vertreibung, der gesellschaftlichen Alterung der deutschen Wohnbevölkerung oder des Fachkräftemangels in vielen Branchen. Daher wird der konstruktive Umgang mit Zuwanderung und Diversität immer wichtiger.
Dennoch ist wenig bekannt über die Rolle lokaler Politiken, der Behörden, zivilgesellschaftlicher Organisationen und des gesellschaftlichen Klimas für die Verbleibsentscheidungen von Zugewanderten. Unsere eigene Forschung mit Schutzsuchenden aus der Ukraine und der aufnehmenden Kommunen zeigt, dass gerade Gruppen, die unmittelbar Zugang zum Regelsystem erhalten, oft aus dem Blick der Behörden verschwinden, wodurch sie möglicherweise die Integrationsangebote nicht, oder nicht systematisch, erreichen.
Vor diesem Hintergrund widmet sich unsere Forschung kritisch der Frage nach der (neuen) Rolle unterstützender Politiken für die Bedingungen und Dynamiken des Ankommens (bzw. des unmittelbaren Verbleibs) in Deutschland. Ankommen wird hier sowohl als (mehrjährige) Phase nach der Zuwanderung, als auch das Gefühl des Ankommens und Angekommen-Seins verstanden („Verankerung“), das durch staatliche Angebote, im Sinne einer Willkommenskultur gefördert wird, oder auch nicht.
Empirisch fokussieren wir uns auf die Rolle staatlichen Handelns, unter anderem auf den Vermittlungsprozess zwischen Bürokratien (im Sinne von „street-level organisations“) und Bürger:innen (hier auch Zugewanderten ohne deutsche Staatsbürgerschaft) und analysieren weniger beforschte Aspekte der Ankommensphase, gerade auch weil Ankommende häufig innerhalb von vier Jahren wieder abwandern.
Exemplarisch werden folgende Fragen in den Blick genommen:
- Wer wird von der Politik adressiert und welche Gruppen werden zum Verbleib aktiv animiert, welche nicht, zum Beispiel durch Integrations- und Beratungsangebote? Welche normativen Bilder und Vorstellungen von Zugehörigkeit und Teilhabe liegen dahinter?
- Welche Integrations- und Beratungsangebote nutzen die Zugewanderten und in welcher Phase des Ankommens? Welche Versorgungslücken gibt es gegebenenfalls?
- Wie nehmen Zugewanderte die lokalen Opportunitätsstrukturen des Ankommens wahr und wie, im Zusammenspiel mit staatlichem Handeln, verhandeln sie Verbleib, Mobilität und ökonomische Eigenständigkeit und Selbstfürsorge im Spannungsfeld transnationaler Familienkonstellationen?
Das Projekt ist auf mehrere Jahre angelegt und wird sich in verschiedenen Modulen unterschiedlichen Gruppen widmen. Im ersten Jahr stehen Schutzsuchende aus der Ukraine im Fokus, deren Bleibeperspektive nach wie vor unklar ist, und die unterschiedliche Perspektiven auf das Gefühl des Ankommen-Seins vertreten.
Wir thematisieren unter anderem Formen transnationaler Lebensführung am Beispiel digitaler Erwerbsarbeit über Grenzen, wenn Wohnort und Arbeitsort in zwei Ländern liegen. Dieser empirische Fokus erlaubt die Komplexität von Verbleib/Rückkehr zu beleuchten, die Rolle staatlicher Angebote für qualifikationsadäquate Erwerbstätigkeiten in Deutschland und der Ukraine und sozialen Ab-/Aufstieg zu thematisieren, und regulative Aspekte anzusprechen.
Ebenso widmen wir uns durch eine qualitative Erhebung dem Ankommen von Geflüchteten mit besonderen Schutzbedarfen, die durch gesundheitliche Einschränkungen, Alter oder Pflege- und Betreuungsaufgaben dem Arbeitsmarkt nicht, oder nur eingeschränkt, zur Verfügung stehen. Integrationsangebote der Kommunen zielen in der Regel auf erwachsene, gut ausgebildete und arbeitsfähige Zugewanderte ab, die potentielle Arbeitnehmer:innen sind und ihren Lebensunterhalt selbständig bestreiten können, und stehen vor Herausforderungen in der Bereitstellung bedarfsgerechter Inklusionsangebote.
Mittelfristig ist die Konzeptionalisierung eines qualitativen Panels zu den Integrationsverläufen der Ankommensphase mit Personen, sie sich durch ihren rechtlichen Aufenthaltsstatus unterscheiden (z.B. Blue Card Holders, TPD versus Asyl, EU-Freizügigkeit, Familiennachzug), und/oder sich durch besondere Unterstützungsbedarfe definieren (z.B. Menschen mit Behinderungen, Vorerkrankungen, Traumatisierungen oder ältere und pflegebedürftige Personen).
Die gewonnenen Erkenntnisse sollen Integrationstheorien um eine lebensphasenspezifische Perspektive auf Integrationsverläufe zugewanderter Familien erweitern, die neben Verbleib oder Abwanderung teils eine transnationale Lebensweise und Familienkonstellation wählen.
Förderung: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Institutionelle Förderung)