DeZIM-Talk: Familiäre Fürsorge über Grenzen

Ein blinder Fleck in der Familien- und Integrationspolitik? 

17. Oktober 2024,

18.00 – 20.00 Uhr 

Mauerstr. 76, 10117 Berlin,
DeZIM.Saal im 3. OG

Am 17. Oktober wurden im Rahmen des DeZIM_Talks zum Thema „Intergenerationale Fürsorge über Grenzen“ Ergebnisse aktueller Forschung des DeZIM-Instituts zu transnationalen Familienbeziehungen präsentiert. Anschließend diskutierten geladene Gäste aus Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft und Wissenschaft intensiv über die notwendige Unterstützung für Menschen mit familiärer Fürsorgeverantwortung im Ausland. Die Veranstaltung wurde vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) und der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Familienorganisationen (AGF) organisiert.

Nach einer Begrüßung durch Prof. Magdalena Nowicka, Leiterin der Abteilung Integration am DeZIM-Institut, und Sven Iversen, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Familienorganisationen gestaltete Dr. David Schiefer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am DeZIM-Institut, mit einem eindrucksvollen Vortrag den inhaltlichen Auftakt der Veranstaltung. Dabei stellte er zum einen heraus, dass familiäre Fürsorge über Ländergrenzen hinweg in Deutschland keine Seltenheit mehr ist. Das gilt insbesondere für intergenerationale Beziehungen. Fürsorge wird dabei weiterhin praktiziert, unabhängig von Ländergrenzen und geografischen Entfernungen. Doch diese Form der Fürsorge bringt besondere Herausforderungen mit sich: Neben emotionalen und finanziellen Belastungen erschweren insbesondere bürokratische Hürden und rechtliche Voraussetzungen den Alltag vieler Betroffenen. Auch berufliche Risiken im Zusammenhang mit familiärer Fürsorge werden von ihnen häufiger genannt. Betroffen sind davon insbesondere selbst zugewanderte Personen, die aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit und ihres Aufenthaltsstatus nicht die gleichen Rechte und Möglichkeiten haben wie andere Menschen in Deutschland. Die Forschung verdeutlicht hier, dass nationale Wohlfahrts- und Migrationssysteme oft unzureichend auf diese transnationalen Realitäten reagieren.

In der anschließenden Diskussion wurde betont, dass die Unterstützung von Menschen, die sich um Angehörige im Ausland kümmern, aus zwei Gründen hoch relevant ist: Zum einen hat die Unterstützung von Familien einen gesellschaftlichen hohen Stellenwert, der im Grundgesetz und der europäischen Menschenrechtskonvention verankert ist. Daraus ergibt sich eine Verpflichtung zur Unterstützung von Familien bei familiären Fürsorgeaufgaben, unabhängig von Herkunft, Wohnort und Aufenthaltsstatus der Familienmitglieder. Zum anderen ist die Berücksichtigung grenzüberschreitender familiärer Fürsorge auch für die Gewinnung von dringend benötigten Fachkräften aus dem Ausland relevant, denn für diese stellt sich auch die Frage, wie sie im Fall einer Migration nach Deutschland die Fürsorge und Unterstützung für ihre im Herkunftsland verbliebenen Angehörigen weiterhin gewährleisten können. Insgesamt braucht es in Deutschland ein noch stärkeres Einwanderungsbewusstsein, ebenso müssen die Lebenslagen von Fachkräften, Geflüchteten und anderen Zuwanderergruppen stärker im Kontext ihrer Familien gedacht werden.

Deutlich wurde an verschiedenen Stellen der Diskussion, dass es vielfältige, konkrete Möglichkeiten gibt, durch Anpassungen von Regelungen und Angeboten den Bedarfen von Menschen mit Angehörigen im Ausland besser gerecht zu werden. Diese betreffen u.a. die Verbesserung von gesetzlichen Freistellungsregelungen für pflegende Angehörige, die grenzüberschreitende institutionelle Zusammenarbeit bei der Feststellung von Pflegebedarf, zielgruppenspezifische Beratungsangebote für Betroffene sowie die Rücknahme von aufenthalts- und visarechtlichen Restriktionen für grenzüberschreitende Mobilität von Familienmitgliedern. Es bestehen bereits entsprechende Ansätze (etwa bei der Feststellung von Pflegebedarf, dem Elternnachzug zu Fachkräften aus der EU oder bei kommunalen Beratungsangeboten für pflegende Angehörige mit Migrationsgeschichte), auf denen es sich aufbauen lässt. Jetzt gelte es, diese Änderungen proaktiv anzugehen. Dabei müssen bestehende Ungleichheiten, etwa zwischen zugewanderten Personen aus EU- und Drittstaaten oder zwischen Fachkräften und Geflüchteten, abgebaut werden. Die Unterstützung grenzüberschreitender familiärer Fürsorge ist zudem eine Aufgabe, die neben staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren auch ein stärkeres Bewusstsein und Engagement von Unternehmen und Arbeitgeber*innen erfordert. Ebenso ist es kein rein nationalstaatliches Thema, sondern muss zum Beispiel auch auf europäischer Ebene (etwa im Rahmen der Europäischen Pflegestrategie) mitgedacht werden.

Programm:

 

Begrüßung

 

Präsentation von Forschungsergebnissen: "Intergenerationale Fürsorge über Grenzen“ Q&A 

 

Gesprächsrunde  

  • Prof. Dr. Manuela Westphal (Universität Kassel)
  • Dr. Annette Hilscher (Verband binationaler Familien und Partnerschaften) 
  • Dr. Mehmet Alpbek (Föderation Türkischer Elternvereine in Deutschland, Bundeselternnetzwerk) 
  • Gökay Akbulut (Die Linke, Abgeordnete des Bundestags und Mitglied im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend)
  • Donald Ilte (Leiter der Abteilung Pflege in der Berliner Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege)
  • Misbah Khan (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Abgeordnete des Bundestags und Mitglied u.a. im Ausschuss für Inneres und Heimat)

 

Moderation: Dr. Nora Ratzmann (DeZIM-Institut) 

Unsere Gäste:

Kontakt

Dr. David Schiefer

Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Abteilung Integration

E-Mail: schiefer(at)dezim-institut.de

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